Wie viel Offenheit verträgt das Thema Suizid?

Ereignisreiche Wochen neigen sich dem Ende zu. Mein Vortrag "Wie viel Offenheit verträgt das Thema Suizid" stößt auf vermehrtes Interesse und ich durfte ihn vor einem interessierten Publikum in Zürich, Luxembourg, Wolfsburg und Bad Frankenhausen halten. Die Rückmeldungen sind überragend positiv.

 

Und, wie viel Offenheit verträgt das Thema Suizid nun?


Es mag viele Gründe geben, warum wir nicht über Suizid sprechen. Meiner Meinung nach haben die öffentlichen Medien daran eine große Mitverantwortung! Die Medien haben die Aufgabe Menschen und Meinungen zusammenzubringen und für einen Austausch zu sorgen. Aber das Thema Suizid taucht nicht auf, höchstens dann, wenn sich ein Prominenter das Leben genommen hat und die Presse - meist reißerisch - darüber berichten kann, natürlich nicht um aufzuklären, sondern um die eigene Reichweite und die Klickzahlen (Onlinemedien) zu steigern. Ansonsten hüllen sie sich gern in Schweigen. 

Die Zurückhaltung der Medien wird auch damit begründet, sich aufgrund des sogenannten Werthereffektes (auch bekannt als Nachahmer-Effekt) bei der Berichterstattung in Zurückhaltung zu üben. Diese Haltung basiert auf den Medienrichtlinien, aufgestellt in den "Richtlinien für die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des Deutschen Presserates." Dort heißt es, dass die Berichterstattung über Suizid Zurückhaltung gebietet. 

 

Nota bene: Diese Richtlinien basieren auf Forschungsergebnissen von "Experten", also meist Menschen, die das Thema Suizidalität nie selbst erlebt, sondern lediglich studiert haben. Der Werther-Effekt, also dass die Berichterstattung über Suizid zusätzliche Suizide auslösen kann, ist unbestritten. Es kommt aber immer noch auf das "Wie" an, und leider wird mit dem generalisierten Werther-Totschlag-Argument eine öffentliche Debatte über das Thema verhindert. Es wird Zeit, dass mehr Betroffene über das Thema berichten, denn die Entstigmatisierung und Entmystifizierung des Themas Suizid kann nur mit Betroffenen zusammen erfolgen, und zwar auf Augenhöhe. Denn wir Betroffenen sind auch Experten, nämlich Experten unserer eigenen Geschichte. Und darüber hinaus verfügen wir über ausreichend Empathie und Erfahrung, angemessen über das Thema zu berichten. 

 

Daher freue ich mich, dass ich mit meinem offenen Umgang und dem Vortrag einen Beitrag zur Entstigmatisierung leisten kann.

 

Diese YouTube-Serie sollte jeder kennen ...

Info: »Komm, lieber Tod«

 

Auf dem diesjährigen DGPPN-Kongress in Berlin konnte ich einem interessierten Fach-Publikum die YouTube-Serie »Komm, lieber Tod« vorstellen. Über 500 Zuhörerinnen und Zuhörer folgten dem Vortrag.

 

Unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf habe ich zusammen mit dem Produzenten der Serie, Paul Lücke, über das Thema: »Social Media und Suizidprävention?« referiert. Über Suizid offen sprechen bedeutet immer, eine Balance zu finden zwischen einem möglichen Nachahmereffekt und einem präventiven Effekt. Diese Effekte sind auch als Werther- und Papageno-Effekt bekannt (zum Papagenoeffekt siehe mein Interview mit Prof. Dr. Niederkrotenthaler, dem Namensgeber --> klick).

Zunächst ordnete unser Experte, Prof. Dr. Wolfersdorf, die Begriffe definitorisch und kulturhistorisch ein. Danach stellte Paul Lücke seinen Verein Stigma e.V. und das Konzept »Lernen aus Lebenserfahrung« vor. Seine erfolgreichen und von ihm produzierten YouTube-Serien über Drogensucht (»Shore, Stein, Papier«) und Suizid, eben »Komm, lieber Tod«, motivierten ihn zur Vereinsgründung und der Ausarbeitung eines Bildungskonzeptes. Zentrale These seines Engagements ist, dass der Mensch mit seinen Emotionen im Vordergrund steht. Durch die Erfahrungen, die die Protagonisten gemacht haben, sollen andere Menschen profitieren können. Wichtig ist, offen und ungeschminkt über Erfahrungen zu berichten, frei von redaktionellen Vorgaben oder Zwängen und ohne moralischen Zeigefinger. 

 

Die Rückmeldungen der Zuschauer auf YouTube sind bei beiden Serien überragend positiv. Ebenso ging Paul Lücke auf die Kritik der Stiftung Deutsche Depressionshilfe (Prof. Hegerl) ein, der die Serie »Komm, lieber Tod« für den Werther-Effekt abmahnte. 

Statt sich konstruktiv mit der Thematik und auch den positiven Zuschauerreaktionen auseinanderzusetzen, wurde von Seiten der Stiftung reflexartig, eigentlich fast schon zwanghaft, der Werther-Effekt bemüht. Und genau da gilt es anzusetzen, um zum einen gesellschaftliche Realitäten anzuerkennen und zum anderen ein Meinungsmonopol, wie über diese Themen gesprochen werden darf, zu brechen. Denn die Protagonisten verfügen über ausreichend Erfahrung und Empathie über diese Themen angemessen zu referieren. 

 

Im Anschluss an diese Ausführungen wurden den Zuhörerinnen und Zuhörern während 36 Minuten Ausschnitte aus der 61-teiligen Serie gezeigt. Die nachfolgende Frage&Antwort- sowie lebhafte Diskussionsrunde zeigte, wie groß das Interesse des Publikums an dem Thema und der Serie war. Nach der Veranstaltung wurden wir sogar noch vor der Kongresshalle von Zuhörern angesprochen. Gelobt wurden die authentische und beeindruckende Darstellung. Und wie sagte eine Zuhörerin eindrücklich ...

 

»... jeder Psychologe oder Therapeut bzw. jeder, der in der Suizidprävention tätig ist, sollte diese Serie kennen!«

Aus der Suizidforschung: Papageno - viel mehr als nur ein Vogelfänger!

 

Prof. Dr. Thomas Niederkrotenthaler von der MedUni Wien gilt als ein renommierter Suizidologe mit weltweiter Bekanntheit im Bereich Medien und Suizid. Sein Schwerpunkt liegt in der Forschung im Bereich der Suizidprävention. Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist der sogenannte Papageno-Effekt, den er maßgeblich mitgeprägt hat. Wie wurde dieser Begriff »erfunden« und wie wird man eigentlich Suizidologe?

 

Mir hat er ein ausführliches Interview gegeben und ich stelle Euch heute diesen spannenden Menschen vor.

Sie sind einer der führenden Suizidologen. Was macht ein Suizidologe genau?

 

Der Begriff Suizidologe klingt zunächst so, als mache man etwas ganz eng Umschriebenes, aber das ist es gar nicht. Die Suizidologie, also das wissenschaftliche Gebiet der Suizidforschung, wird von einer Vielzahl von Wissenschaftsfeldern tangiert und ganz unterschiedliche Berufsgruppen arbeiten daran, seien es Mediziner, Psychologen, Soziologen, Biologen, Theologen, Juristen oder auch Philosophen. Es ist ein sehr breites Feld.

 

Als Mediziner beschäftige ich mich mit der Frage, wie man Suizide verhüten kann und welche Maßnahmen dazu beitragen können, die Zahlen zu senken. Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf der medialen Darstellung. Welche Risikofaktoren und Schutzfaktoren gibt es? Was können wir künftig in der Berichterstattung verbessern? Und das ist das Spannende an meiner Arbeit, weil ich mich mit Menschen aus unterschiedlichen Bereichen austausche und dadurch andere Perspektiven kennenlerne, die in meine Arbeit einfließen.

Bild-Quelle & Freigabe: Nelsons (Wien)

 

  

Wie sind Sie in den speziellen Bereich der Suizidforschung gekommen?

 

Schon als Kind hat mich die Frage beschäftigt, welche Faktoren auf das Wohlbefinden eines Menschen Einfluss nehmen können. Wenn es jemandem schlecht geht, was sind die Ursachen und wie kann man diesem Menschen helfen? Ich habe dann Medizin studiert und dabei auch einiges über Suizidprävention gelernt. Ein weiterer wichtiger Baustein auf diesem Weg war, dass ich einen wichtigen Menschen aus meinem persönlichen Umfeld durch Suizid verloren habe.

 

Dass sich mein Schaffen speziell in die Richtung der Suizidforschung entwickelte, hat auch mit meinem Doktorvater Prof. Dr. Gernot Sonneck zu tun, an den ich mich für das Thema meiner Promotionsarbeit an der medizinischen Fakultät der Universität Wien (heute die MedUni Wien), gewandt habe. Prof. Sonneck, selbst ein Schüler des renommierten Psychiaters, Neurologen und Suizidforschers Erwin Ringel, war seit langem in der Suizidforschung tätig und arbeitete auch für die von Ringel gegründete International Association for Suicide Prevention (IASP).

 

Sonneck hatte 1983 begonnen, über die steigende Anzahl der Suizide und Suizidversuche in der Wiener U-Bahn zu forschen. Seine Studie förderte zutage, dass es einen Zusammenhang zwischen der oft reißerischen Berichterstattung in der Presse und den Suizidzahlen gab. Dieser sogenannte Nachahmer- oder Imitationseffekt wird als Werther-Effekt bezeichnet, benannt nach Goethes Romanfigur »Die Leiden des jungen Werther«.

Daraufhin wurden Richtlinien entwickelt, dass die Berichte über Suizide in der Wiener U-Bahn künftig zurückhaltender gestaltet werden sollten. Als diese Empfehlungen Mitte 1987 umgesetzt wurden, nahm die Zahl der Selbsttötungen schlagartig um 80% ab. Ein bahnbrechender Erfolg!

 

Durch die Studie von Prof. Sonneck gab es ein Indiz, dass es möglich ist, die Zahl der Suizide durch geänderte Berichterstattung zu reduzieren. Er schlug mir für meine Abschlussarbeit vor, weiter auf diesem Gebiet zu forschen.

Meine Forschung hat dann einerseits bestätigt, dass es einen Werther-Effekt gibt, nämlich dann, wenn sensationsträchtig über Suizide berichtet wird und insbesondere, wenn falsche Mythen über Suizid verbreitet werden, aber sie hat auch gezeigt, dass eine bestimmte Medienberichterstattung über Suizid eventuell sogar das Gegenteil bewirken kann, nämlich Suizide reduzieren. Immer dann, wenn in den analysierten Berichten Möglichkeiten der Überwindungen von Krisen aufgezeigt und konkrete Hilfsangebote erwähnt wurden, oder Menschen von ihren Erfahrungen berichtet hatten, wie sie Auswege aus schwierigen Lebenssituationen gefunden haben, war das von einem Rückgang der Suizidzahlen begleitet. Und in dieser Art der Berichterstattung sehen wir ein großes Potential für die Präventionsarbeit. Diesen Effekt der medialen Berichterstattung haben wir »Papageno-Effekt« genannt. Wir haben ihn seither auch in mehreren anderen Studien gezeigt. 

Sie gelten als Namensgeber des Papageno-Effektes? Wie sind Sie auf diesen Begriff gekommen?

 

Papageno ist die Figur des Vogelfängers aus Mozarts Zauberflöte. Er will sich aus Liebeskummer erhängen, wird aber von den »Drei Knaben« davon abgehalten, weil sie ihn auf seine Alternativen zur Selbsttötung hinweisen. Diese »Drei Knaben« leisten sehr gute Präventionsarbeit!

Der vorhin erwähnte Prof. Ringel war ein großer Liebhaber von Opern. Er hat unter anderem ein Buch mit dem Titel »Unbewusst, höchste Lust« darüber geschrieben, in dem er verschiedene Opern aus tiefenpsychologischer Sicht analysierte. Nachdem meine Studie erstmals einen Hinweis ergab, dass es durch eine bestimme Art der Berichterstattung eventuell einen suizidprotektiven Effekt gibt, wollten wir das Ergebnis unter die Leute bringen und suchten nach einem bezeichnenden Namen. Mein Doktorvater brachte Ringels Vorliebe für Opern ins Spiel und meinte, dass wir vielleicht unter den verschiedenen Opern einen treffenden Namen finden könnten.

 

Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit Kollegen zusammensaß und wir verschiedene Opern studierten. Der oben geschilderte Fall des Papageno, also die Darstellung einer Suizidverhütung, brachte uns den Namen Papageno näher und als ich den Text der Zauberflöte gelesen hatte, erschien mir der Name »Papageno-Effekt« absolut stimmig! Ich möchte aber betonen, dass ich die Schöpfung des Begriffs als Teamleistung betrachte.

 

Bild-Quelle & Freigabe: Von Printer Ignaz Alberti - From nl-wiki., Gemeinfrei

 

 

Was können Medien Ihrer Meinung nach konkret für den Papageno-Effekt tun?

 

Medien können sehr viel tun und einen großen Beitrag zur Verhütung von Suiziden leisten. Wichtig ist das Aufzeigen von Möglichkeiten, was man in einer Krise konkret tun kann. Vor allem: Alternativen zum Suizidmachen aufzeigen! Es geht aber auch um die Menschen, die unter einem Verlust eines Menschen durch Suizid leiden, und darum aufzuzeigen, wie sie damit umgehen können.

 

 

Aber ich habe den Eindruck gewonnen, dass der Papageno-Effekt eher eine geringe Rolle in den Medien spielt, stimmt das?

 

Das muss man medienspezifisch betrachten. In der Ratgeberliteratur zum Beispiel spielt der Papageno-Effekt eine große Rolle. Betrachtet man hingegen die traditionellen Nachrichtenmedien, sieht es natürlich etwas anders aus. Der Begriff Werther-Effekt ist ja gerade im Zusammenhang mit den Nachrichtenmedien entstanden. Das hängt damit zusammen, dass bezogen auf den Suizid eine Katastrophe oft berichtenswerter erscheint als eine verhütete. Es gilt auch zu bedenken, dass der Werther-Effekt, auch in seiner Begrifflichkeit, seit den 70er-Jahren geprägt ist und es dazu über 120 wissenschaftliche Studien gibt. Den Begriff Papageno-Effekt gibt es jetzt seit rund zehn Jahren und dazu existieren bisher nur eine Handvoll Studien.

 

Klassische Medien bieten aufgrund begrenzter Sendezeit und limitierter Artikellängen zudem seltener den Raum, darüber ausführlich zu berichten, was den Papageno-Effekt eigentlich ausmacht, also die Verhütung von Suizid.

 

 

Wie sieht eine gute mediale Präventionsarbeit Ihrer Meinung nach aus?

 

Das Wichtigste ist, und das betone ich immer wieder: Papageno fängt im Kleinen an! Zunächst einmal geht es um den Menschen. Wenn man in einem privaten Kreis den Eindruck hat, sein Gegenüber hat Suizidgedanken, dann muss man das konkret ansprechen und nachfragen. Denn nur wenn man fragt, kann man überhaupt Kenntnis davon haben und gemeinsam überlegen, was man tun kann, welche Alternativen es zum Suizid gibt und professionelle Hilfe ins Boot holen, das ist sehr wichtig.

Und hier setzt die Rolle der Medien an. Die Menschen müssen über die Alternativen informiert werden, darüber wo sie Hilfen erhalten können, und wie andere mit schwierigen Lebenssituationen umgegangen sind oder umgehen. Wenn Medien auch Geschichten von überwundenen Lebenskrisen aufgreifen und verbreiten, leisten sie einen enorm wichtigen Beitrag.

 

Wenn in den Zeitungen über Suizidfälle berichtet wird, meist prominente Persönlichkeiten, wird am Ende die Hotline einer Hilfsorganisation genannt. Ist das Ihrer Meinung nach ausreichend?

 

Es geht bei Suizid nicht um die Frage »berichten oder nicht berichten«, sondern um das »Wie«. Man kann durchaus über Prominenten-Suizid berichten, ohne einen Werther-Effekt befürchten zu müssen. Erwähnt man beispielsweise Hilfsangebote oder erwähnt Alternativen, fokussiert man auch auf das Leben der verstorbenen Person und nicht nur auf den Tod bzw. die Suizidmethode, wird schon Gutes geleistet und dem Papageno-Effekt Rechnung getragen.

 

Bild-Quelle & Freigabe: Bildblog.de

 

Unsere Forschung legt nahe, dass es sehr stark vom Gesamtbeitrag abhängt, ob es zu einem schädlichen Effekt kommt oder nicht. Nur das Nennen einer Hilfseinrichtung in einem ansonsten sehr sensationsträchtigen Artikel reicht da wohl nicht immer aus, um einen schädlichen Effekt zu verhindern. Aber Vorsicht! Es ist dennoch wichtig, Hilfseinrichtungen zu nennen, denn viele Menschen wissen nicht, dass es derartige Hilfsmöglichkeiten gibt.

 

Wird den Hilfen zu wenig Raum gegeben, oder nur die Telefonnummer genannt, kann schon manchmal der Eindruck entstehen, dass man sich bei dem Bericht schnell noch einen seriösen Anstrich geben will, oder sich weitergehender Verantwortung nicht bewusst ist. Aber es ist in jedem Fall begrüßenswert, wenn Medien Hilfsangebote und Telefonnummern überhaupt erwähnen. Die berichteten Kontakte sollten unbedingt zutreffend sein, also keine falschen oder veralteten Telefonnummern oder Adressen.

 

  

Müssen die Schulungen für Medienschaffende demnach verbessert werden?

 

Ganz wichtig ist, in dem Bemühen nicht nachzulassen. Es reicht nicht aus, das Thema nur einmal zur Sprache zu bringen. Es wachsen ständig neue Journalisten-Generationen nach und wir müssen permanent daran arbeiten. Wir haben in Österreich allgemein gute Erfahrungen mit den Medien gemacht und ihrer Bereitschaft, den Werther- und Papageno-Effekt zu berücksichtigen. MedienvertreterInnen arbeiten heute auch bei der Erstellung der Medienempfehlungen mit, das hilft sehr, um die Empfehlungen bedürfnisgerechter zu machen und zu verbreiten. Es gibt aber leider auch vereinzelt Medien, die sich so verhalten als ob sie das alles nichts angeht, denen die Auflagen- oder Klickzahlen wichtiger sind; bei uns zum Glück nur ein kleiner Teil. In anderen Ländern sieht es damit, wie ich höre, bedeutend schlechter aus. Wichtig ist ein kontinuierliches, früh ansetzendes Training, und es geht nicht nur um die Verhütung des Werther-Effektes, sondern auch um einen aktiven Beitrag zur Suizidprävention, den Papageno Effekt.

 

 

In welche Richtung wird sich die Suizidforschung entwickeln?

 

In diesem Bereich gibt es noch sehr viel zu tun. Ich konzentriere mich auf den medialen Bereich. Es gilt herauszufinden, wie die Berichterstattung für Personen genau wirkt. Wir müssen ein besseres Verständnis bekommen, welche Bedürfnisse unterschiedliche Menschen in gewissen Situationen haben. Wir erforschen die Vermittlung von Hilfsangeboten und deren Wirkungsweisen in soziologischer Hinsicht (bspw. Alter, Bildungsgrad), um dann medial-spezifisch die richtigen Angebote zu machen.

Die meisten Interaktionen zum Thema Suizid geschehen heutzutage in den sozialen Medien (also eher im privaten Bereich). Diese neuen Medien bieten für die Suizidprävention enorme Potentiale, aber wir müssen zunächst einmal darüber forschen, auf welchen Kanälen Präventionsangebote in welcher Weise funktionieren.

 

Ein weiterer Bereich meiner Arbeit ist der technische Bereich. Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt in den Online-Medien Suizidalität zu erkennen, oder auf eine akute Suizidgefahr reagieren zu können?

Apropos über Suizid sprechen, wie beurteilen Sie den enormen Erfolg der Netflix-Serie »Tote Mädchen lügen nicht«?

 

Den Erfolg sehe ich kritisch und ich kann die Serie nicht als Aufklärungsmaterial oder einen gelungenen Beitrag zur Suizidprävention empfehlen. Gelungen sind zwar die Darstellung der Hilflosigkeit des Umfeldes und die Betroffenheit der Mutter von Hannah Baker. Aber die extreme explizite Darstellung des Suizids am Ende der Serie sehe ich sehr kritisch. Um auf den Papageno-Effekt zurückzukommen, geht es um die Darstellung des »Wie«.

 

Mit einem enormen Budget wird 13 Folgen lang die Unfähigkeit der Umstehenden gezeigt, aber niemand stellt sich den Suizidabsichten von Hannah auch nur einmal wirkungsvoll entgegen. Nicht ein einziges Mal wird auf gangbare Alternativen eingegangen. Zwar gibt es am Ende ein »making of«, in dem die Produzenten und Schauspieler aufklären, aber ich befürchte, dass das zu spät kommt, denn zuvor ist 13 Folgen lang der Eindruck durchgesickert, dass man keine Möglichkeit außer Suizid hat, wenn man in einer schwierigen Lebenssituation ist.

 

Zwar hat die Serie eine Diskussion zum Thema Suizid und Prävention ausgelöst, aber die Schwierigkeit ist ja gerade, dass die gefährdeten Jugendlichen sich eben oft nicht an der Diskussion beteiligen und durch die Serie weiter gefährdet werden können. Erste anekdotische Berichte aus Kliniken unterstreichen diese Befürchtung. Über die Serie in Familien, Schulen etc. zu sprechen ist sehr wichtig, um mögliche negative Effekte zu verhindern. Wir haben dazu auch eine Broschüre zum Umgang mit der Serie in Schulen entwickelt:

Broschüre 

In meiner 60-teiligen YouTube-Serie »Komm, lieber Tod« spreche ich sehr konkret über meinen Suizidversuch. Ich habe aber gerade von Betroffenen zahlreiche positive Rückmeldungen bekommen, die in Richtung des Papageno-Effektes deuten. Was habe ich dann anders oder vielleicht besser gemacht als in der Netflix-Serie?

 

Der Charakter Hannah Baker ist meiner Meinung nach trügerisch »makellos«, auch im psychologischen Sinn, dargestellt. Suizidalität stellt man sich anders vor. Suizidale Menschen sind eigentlich in ihrer Lage oft nicht fähig, derart klar in ihren Gedanken zu sein und den Suizid so reflektiert zu bewerten. Daher sehe ich die Darstellung sehr kritisch. Die Netflix-Serie war auf einen kommerziellen Erfolg hin ausgerichtet, Prävention und die Vermittlung von Verständnis hingegen war kein Fokus. Für derartige Themen sollte der kommerzielle Erfolg nicht derart im Vordergrund stehen, das kann gerade jene gefährden, die in einer besonders schweren Situation sind.

 

Bei »Komm, lieber Tod« steht das Kommerzielle nicht im Vordergrund, und es geht um eine — Ihre — authentische Geschichte, in der Sie die Vielschichtigkeit des Themas Suizidalität an vielen Stellen aufzeigen. Ich möchte Ihnen zur Ihrer Arbeit und der Art und Weise, wie Sie es rübergebracht haben, gratulieren. Natürlich kann es kritisch sein, wenn man nur eine, oder die eine Folge betrachtet, in der es um die Methode geht. Da gilt es darüber mit anderen zu sprechen und sich ggf. Hilfe zu holen, wenn das überfordert. Aber nochmals: Es geht bei Erzählungen über den Umgang mit Suizidalität nicht darum, die Suizidmethode zu verschweigen; vielmehr deuten die Forschungsergebnisse darauf hin, dass es auf die Gesamtbetrachtung ankommt. Die zahlreichen positiven Rückmeldungen zu Ihrer Serie legen nahe, dass Sie es geschafft haben, einigen Menschen einen positiven Schub in die Richtung zu geben, dass man selbst eine Stimme findet, um darüber zu sprechen, zum Telefonhörer zu greifen und sich Hilfe zu suchen, oder aber auch das Umfeld für das Thema zu sensibilisieren.

 

Das ist der Papageno-Effekt!

 

  

Lieber Prof. Dr. Niederkrotenthaler, ich danke Ihnen herzlich, dass Sie sich für dieses Interview so viel Zeit genommen haben, uns die wichtigen Aspekte des Papageno-Effektes zu erläutern. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles erdenklich Gute! 

Wenn Ihr Suizidgedanken habt, Euch um jemanden sorgt, oder jemanden durch Suizid verloren habt, findet Ihr Hilfseinrichtungen und Informationen auf folgenden Seiten:

 

Deutschland

 

Telefonseelsorge

www.suizidprophylaxe.de

u25-Deutschland (Jugendliche)

AGUS Selbsthilfe (Suizidtrauernde)

 

Österreich

 

Telefonseelsorge.at

www.suizid-praevention.gv.at

bittelebe.at (Jugendliche)

  

Schweiz

  

www.suizidpraevention-zh.ch

Telefon 143 - Die dargebotene Hand

Vortrag Bayreuth 17.05.2018 - Evangelisches Bildungswerk

Komm lieber Tod - Streifzüge durch ein Leben mit Todessehnsucht - Vortrag

 

 

"Komm lieber Tod" ist eine YouTube-Serie, das das Überstehen suizidalen depressiven Krisen beschreibt. Kann das öffentliche Beschreiben von Krisen ein hilfreiches Modell für Betroffene sein?

 

 

Seit vielen Jahren ist in der Literatur der sogenannten Nachahmer-Effekt (auch genannt Werther-Effekt) bekannt, der besagt, dass labile Menschen durch bildhafte oder textliche Darstellung zum Suizid angetrieben oder verleitet werden können.

Dem schädlichen Einfluss steht ein positiver Effekt gegenüber, genannt Papageno-Effekt (benannt nach der Figur des Vogelfängers aus Mozarts Oper "Die Zauberflöte"). Kurz zusammengefasst sollen Darstellungen und Berichte von Menschen, die eine suizidale Krise überwunden haben, einen "suizidprotektiven" Charakter haben, sich also positiv auf Leute mit Suizidgedanken auswirken.

 

Wir erleben Video-Sequenzen aus der Reihe "Komm lieber Tod", die wir anschließend mit dem Protagonisten Stefan Lange und Prof. Wolfersdorf diskutieren werden.

 

Referenten:        Prof. Dr. med. Dr. h. c. Manfred Wolfersdorf, Hollfeld, Stefan Lange, Autor

Kosten:               Eintritt frei, Spenden erwünscht

Kooperation:      Initiative "Gemeinsam gegen Depression" Bayreuth

Soziale Medien und Suizidprävention? Vortrag beim WPA-Kongress in Berlin

Auf dem Weltkongress der Psychiatrie der WPA (World Psychiatric Association) in Berlin trafen sich über 10.000 Fachleute aus aller Welt, um die neuesten wissenschaftlichen Methoden und Trends zu diskutieren. Es gab Vorlesungen, Fachvorträge und spezielle Veranstaltungen. Ich konnte einen Vortrag und eine Lesung aus meinem Buch SUICIDE beisteuern.

Unser Fachvortrag "Social Media and Suicide Prevention" war einer davon. Knapp 300 Zuhörer und Zuhörerinnen lauschten unserem Beitrag, ein Mix aus einer YouTube-Videovorführung (6 Episoden aus "Komm, lieber Tod") und einer anschließenden Diskussion - im Bild vlnr: Prof. Manfred Wolfersdorfer (chair), Paul Lücke (Produzent) und ich. 

Die Frage, die es zu diskutieren galt, lautete: "Wie viel Entertainment verträgt das Tabu-Thema Suizid?" Angesichts des großen Erfolges der Netfilx-Serie "Tote Mädchen lügen nicht", in der episodenhaft der Selbstmord einer Highschool-Schülerin dargestellt wird, und der Warnungen der Experten vor dem Konsum der Serie, traf unser Vorschlag den Nerv der Zeit. 

Es gibt den sogenannten Nachahmer-Effekt (auch genannt Werther-Effekt), der besagt, dass labile Menschen durch bildhafte oder textliche Darstellung zum Selbstmord angetrieben oder verleitet werden können. Dieses Phänomen ist mehrfach empirisch eindeutig nachgewiesen worden. 
Dem schädlichen Einfluss steht ein positiver Effekt gegenüber, genannt Papageno-Effekt (benannt nach der Figur des Vogelfängers aus Mozarts Oper "Die Zauberflöte"). Kurz zusammengefasst sollen Darstellungen und Berichte von Menschen, die eine suizidale Krise überwunden haben, einen "suizidprotektiven" Charakter haben, sich also positiv auf Leute mit Suizidgedanken auswirken. Solche Berichte können animieren, den letzten Schritt nicht zu wagen und sich Hilfe zu holen.

Was ist aber der richtige Weg für eine mediale Darstellung? Soll man den Richtlinien für die mediale Berichterstattung folgen und alles unter den Tisch kehren, bloß nicht zu viel sagen und wagen? Oder ist eine offensive, ehrliche und authentische Darstellung, wie in unserer YouTube-Serie "Komm lieber Tod", der richtige Weg?

Wir leben in Zeitalter des Internets und der sozialen Netzwerke. Menschen können sich ungehindert austauschen und sie schaffen sich abseits der klassischen Informationsträger wie TV, Presse und Rundfunk, ihre eigenen medialen Realitäten. Der Grat zwischen Werther-Effekt und Papageno-Effekt ist schmal. Es gibt keine eindeutige Lösung für das Problem, über Selbstmord angemessen zu berichten.

 

Wenn ich aber den zahlreichen und überwältigend positiven Rückmeldungen unserer Zuschauer trauen darf (siehe Download auf der Frontpage dieser Seite) und dem Urteil eines Zuschauers unseres Vortrages, dann bin ich überzeugt davon, dass wir mit dem Projekt "Komm lieber Tod" einen wirklichen Beitrag für die Entstigmatisierung des Themas geleistet haben, das sich "auf der Höhe der Zeit befindet." 

Wenn tote Mädchen lügen ...

Weltweit warnen die Experten vor dem Konsum der Netflix-Serie »Tote Mädchen lügen nicht«. Die zu explizite Darstellung des Selbstmordes der Protagonistin Hannah könnte vor allem junge Menschen zu Nachahmungstaten animieren. 
Es wird eine stärkere Kontrolle bei der medialen Berichterstattung zum Thema Suizid gefordert. Meines Erachtens ist das nicht der richtige Weg. 

Warum, das ist in diesem Blog-Beitrag nachzulesen: Tote Mädchen lügen nicht - oder vielleicht doch? 

Guido Verstegen schuf mit der ansprechenden Inszenierung des Romans höchst realistisches Volkstheater.

Ich hatte erneut das Glück, das Theaterstück »Drei Monate und ein Tag« von der Lichtbühne München zu sehen. Ich kann es immer noch nicht ganz glauben, als Zuschauer einen Teil meines Lebens auf einer Theaterbühne zu sehen. Das Bühenstück ist sehr dicht an meiner Buchvorlage SUICIDE angelehnt. Ich bin beeindruckt!

Beeindruckend ist auch die Theaterkritik von C.M. Meier von Theaterkritiken München.

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»Drei Monate und ein Tag« - oder wenn sie dir dein Leben servieren ...

Wenn man als Autor eines Buchs oder als Protagonist einer YouTube-Serie aus seinem Leben erzählt, dann ist man irgendwie "aktiv", steuert also seine Worte selbst und entscheidet wesentlich darüber, was man wie den Menschen da draußen von sich preisgibt. 

Anders verhält es sich, wenn man den Stoff, also die Buchvorlage, die wiederum Teil meines Lebens ist, in die Hände eines Theaterregisseurs legt. Dann werden die Worte und Ereignisse analysiert, adaptiert und interpretiert. Am Ende dieses Prozesses steht eine Inszenierung, in der Menschen sprechen, handeln, interagieren. Und dann bist du als Autor passiv und musst dir dein eigenes Leben anschauen.

Fotos: Marcus Jäck - Aufführung vom 12.03.2017 der Lichtbühne München im Bahnwärter Thiel (München). Schauspieler: Claudia Riedel, Daniel Pfaffinger & Ralph Schicha (kariertes Hemd). Letztes Foto von links nach rechts: Stefan Lange, Guido Verstegen (Regie), Ralph Schicha, Claudia Riedel & Daniel Pfaffinger.

Mir ist es immer noch ein Rätsel, wie es Guido Verstegen geschafft hat, mein Buch SUICIDE so exzellent in knapp zwei Stunden Spielzeit und auf wenige Quadratmeter Bühne zu verdichten und dabei nicht nur der Vorlage, sondern auch den aktuellen Entwicklungen gerecht zu werden. 

 

Die Figur des Stefan gibt es zweimal, eigentlich dreimal, wenn man die YouTube-Einspielungen aus der Serie »Komm, lieber Tod« mit einbezieht. 

 

Das Bühnenstück wird mit den Worten »Susanne ist tot, eine kurze knappe Email, ein paar Zeilen. Das ist es also was am Ende bleibt ...« eingeleitet. 

Wir erleben Stefan (dargestellt von Ralph Schicha) im Jahre 2015. Sofort wird der Zuschauer in seinen Bann gezogen. Was ist passiert? Dann erleben wir eine Rückblende ins Jahr 1994. Sevilla, an einer Sprachschule begegnen sich Susanne und Stefan (dargestellt von Claudia Riedel & Daniel Pfaffinger). 

Eine zufällige Begegnung offenbart, dass sich zwei traumatisierte Menschen nicht nur lieben, sondern auch heilen wollen. Das Drama nimmt seinen Lauf und ich nehme den Schauspielern jede Geste, Mimik und Bewegung ab.


Am Tiefpunkt seiner Existenz ist es wieder eine zufällige Begegnung mit Anja (dargestellt von Claudia Riedel), einer ehemaligen Studienkollegin von Stefan, die den Ausweg aus der Krise ermöglicht. 

 

Und das Ende der Aufführung ist großes Kino, eigentlich eine großartige Regiearbeit und Darstellungskunst der Schauspieler. Nach all´ den Irrungen und Wirrungen, der Gewalt der Ereignisse und der Worte an sich, wirkt es versöhnlich, zärtlich und befreiend. 

 

In knapp zwei Stunden erfährt der Zuschauer nicht nur etwas aus meinem Leben, sondern dank der geschickten Inszenierung werden Lebensweisheiten transportiert. »Drei Monate und ein Tag« ist so dicht an Emotionen und Wahrheiten, dass diese noch eine Zeit lang nachwirken. 

 

Chapeau! und ein herzliches Dankeschön an das Ensemble der Lichtbühne, dass sie sich dieses Themas angenommen haben. Nachfolgend der Link zum Video-Trailer der Lichtbühne München:

 




»Drei Monate und ein Tag« wird im April 2017 noch vier weitere Mal an der Pasinger Fabrik in München aufgeführt. 


Weitere Aufführungen an anderen Standorten sind in Planung. 


Alle aktuellen Termine erfahren Sie auf der Homepage der Lichtbühne München


Hier klicken für aktuelle Informationen

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YouTube-Serie »Komm, lieber Tod« wird 1 Jahr alt. Gedanken zum Jubiläum ...

(Text: Thomas Hinz) YouTube ist heutzutage mehr als ein Portal für Katzen-Content, Schminktipps oder Musikclips. Auf der Plattform haben sich unzählige Sender etabliert, die eigene Formate für ihre Zuschauer anbieten. Der Kanal ZQNCE (gesprochen: Sequence) hat sich auf Biographie-Serien spezialisiert. 

Die Besonderheit ist das minimalistische Set-up, das den Erzähler in den Vordergrund rückt. Die Serie »Komm, lieber Tod« ist die zweite ihrer Art und widmet sich den Themen Depression und Suizid. In 61 Folgen, jede zwischen sechs und zehn Minuten lang, schildert Stefan Lange eindrucksvoll von einem Leben mit Depressionen und Todessehnsucht.

 

Vor genau einem Jahr startete die Serie »Komm, lieber Tod« auf dem YouTube-Kanal ZQNCE. Heute (Stand Oktober 2021) zählt die Serie über 2.3 Millionen Aufrufe. Die Rückmeldungen der Zuschauer, egal ob Betroffene oder Nicht-Betroffene, sind zahlreich und sehr berührend. So fing alles an ...

Es ist ein trüber Sonntagnachmittag irgendwann im November. Einige Stufen führen hinab zum »Unikeller«, eine Studentenkneipe im Osnabrücker Schlosspark. Stefan wartet vor der verschlossenen Eingangstüre, er raucht und versucht dicht an die Pforte gedrängt Schutz vor dem kalten Nieselregen zu bekommen. Sonntags ist der Unikeller üblicherweise geschlossen, doch Bastian, der Pächter des Szenelokals, macht für Paul eine Ausnahme.

Paul ist der Produzent und kreative Kopf des YouTube-Kanals ZQNCE, eine Abkürzung, die für Sequence steht. Paul hat das Szenelokal für die Dreharbeiten zur YouTube-Serie »Komm, lieber Tod« auserkoren.

 

Endlich erscheint Bastian. Ein kurzes freundliches »Hallo«, sie kennen sich schon von vorangegangenen Drehaufnahmen, und dann gelangt Stefan ins trockene Innere. Bastian kocht eine Kanne guten Filterkaffee und wendet sich dann der Buchhaltung zu. Stefan sitzt am Tresen und wartet. Wo ist Paul?

Kein Grund zur Sorge, denn Paul ist eigentlich immer verspätet. Stefan bereitet die Dreharbeiten vor. Die Aufzeichnungen werden in einem gewölbeartigen Nebenraum gemacht, mit roten Ziegelsteinen verkleidete Wände und nur durch wenige Scharten dringt Licht in den ansonsten dunklen Raum hinein. Die Luft ist geschwängert von kaltem Nikotin und es riecht nach abgestandenem Bier. Stefan wuchtet einen runden Holztisch vor eine Wand, schiebt einen Stuhl heran und platziert dann einen großen Glasaschenbecher auf das abgenutzte Inventar. Fast fertig, es fehlt nur noch die Technik.

Paul kommt durch die Türe gerauscht, schwer bepackt mit zwei Rucksäcken. Er murmelt ein knappes »Sorry« und baut dann routiniert die Technik auf. Zwei Kameras, die wie Fotoapparate aussehen, werden auf Stativen montiert, zwei Neonlampen werden verkabelt und in Stative eingehängt, die die Szenerie in ein warmes, schummriges Licht tauchen. Die 64 GB-Speicherkarten sind eingelegt und die Objektive auf den Protagonisten fokussiert. Der Dreh kann beginnen.

 

Das Storyboard für die Serie, welche Streifzüge durch ein Leben mit Todessehnsucht beleuchten, haben Paul und Stefan gemeinsam geschrieben. Beide wissen worüber sie heute sprechen wollen. Heute geht es darum, wie es sich anfühlt seinem Leben ein Ende zu setzen. Paul klatscht zweimal laut in die Hände, stellt Stefan eine Frage, die später im Video nicht zu hören ist. Stefan fängt an zu erzählen, er ist geblendet von den Neonlichtern und kann Paul nur als Schattenumriss wahrnehmen.

 

Aus fünf Drehtagen mit insgesamt 15 Stunden und unzähligen Gigabyte Material hat Paul die 61-teilige Serie »Komm, lieber Tod« produziert. Die Routine für das Aufzeichnen, Schneiden und Hochladen hat sich Paul während drei Jahren erworben. Die erste Biographie-Serie des Kanals ZQNCE mit dem Titel »Shore, Stein, Papier« handelte von dem ehemals Drogensüchtigen »$ick«, der in über 380 Folgen aus seinem Leben voll von Drogenexzessen, Knast und Rückfällen berichtet. Diese Serie hat sich zu einem Hit auf YouTube mit vielen Millionen Aufrufen gemausert. 2015 wurden die Macher dafür mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet, nicht nur wegen der Authentizität, sondern auch für die Darstellung eines Lebens ohne Tabu und ohne moralischen Zeigefinger.

 

Es ist kurz nach 18:00 Uhr. Die Akkus gehen zur Neige und die Speicherkarten sind voll. Stefan ist müde, er hat sich wieder einmal Ereignisse von der Seele geredet, Ereignisse die schon längst als verarbeitet und abgeharkt gelten sollten, bis ihn die Vergangenheit nicht nur eingeholt, sondern mit voller Wucht kalt erwischt hat.

 

Damals: Stefan ist knapp 30 Jahre alt, wir schreiben das Jahr 1994. Frisch diplomiert, ein Leben mit Perspektiven im Blick, macht sich Stefan auf den Weg ins andalusische Sevilla, um seine Spanischkenntnisse zu vertiefen. Aber er erlebt noch ganz andere Tiefen.

Es ist Susanne, eine Schweizerin, an der er nicht nur sein Herz verliert, sondern die leidenschaftliche und symbiotische Beziehung ruft Erinnerungen an eine traumatisierte Kindheit wach. Die Sehnsucht nach Heilung war tief in ihm vergraben, vergessene Bedürfnisse wurden wachgerufen und befriedigt. Doch auch Susanne ist traumatisiert. Eine kurze Romanze in jungen Jahren endete damit, dass sich der Ex-Freund vor den Zug geschmissen hatte. So ein Ereignis hinterlässt tiefe Narben.

Doch die Beziehung steht unter ungünstigen Voraussetzungen. Trotz aller Beteuerungen auf eine gemeinsame Zukunft, bricht Susanne die Beziehung überraschend ab. Stefan hat dem Trennungsschmerz nichts entgegenzusetzen, er gleitet ab in eine tiefschwarze Welt, in der die Sehnsucht nach dem Tod regiert. Seinen Suizidversuch hat er mit viel Glück überlebt. Daran schließt sich ein monatelanges Dahinsiechen in tiefster Depression, garniert mit reichlich Tabletten und Alkohol, an.

Erst einer ehemaligen Studienkollegin, der Stefan zufällig in der Stadt begegnet, gelingt es ihn aufzufangen. Anja motiviert Stefan professionelle Hilfe zu suchen und anzunehmen. Der Therapeut rät ihm seine Geschichte aufzuschreiben. Damit soll die negative Energie kanalisiert und abgeleitet werden. In den folgenden sechs Wochen schreibt sich Stefan förmlich ins Leben zurück, fast zwanghaft und ohne Pause. Erst danach fühlt er sich überhaupt therapiefähig. Aus diesen Aufzeichnungen ist später sein autobiographischer Roman »Suicide« entstanden.

 

Über Jahre plagen Stefan gegenüber Susanne Schuldgefühle. Was er angerichtet hat, ist ihm sehr wohl bewusst geworden und er hofft, irgendwann einmal mit ihr ins Reine zu kommen – ein großes Bedürfnis.

 

Mitte April 2015. Stefan sitzt abends an seinem Laptop, als ihm ein vertrautes Gong-Signal über den Eingang einer neuen E-Mail informiert. Doch diese E-Mail, die ihm über seine Webseite geschickt wurde, sieht anders aus. Kein Wort, sondern nur ein Link zu einem PDF-Dokument einer Schweizer Gemeinde irgendwo am Bodensee. Unter der Rubrik »Unsere Toten« steht Susannes Name und ihr Alter ist erwähnt.

Stefan und Susanne haben sich nie wieder gesehen, aber sie verbindet eine tragische Geschichte und obwohl diese Beziehung längst zu Ende war, scheint es so als würde sie noch einmal beendet werden.

Der Schock in Stefan sitzt tief. Schneller als geglaubt holen ihn alte Gefühle und Gedanken ein. Er taumelt, und um der aufkommenden Verzweiflung Herr zu werden, führt Stefan stundenlange Selbstgespräche. Die Gefühle von damals kommen zurück. Sie sind authentisch, vielleicht werden sie nie wieder so real und greifbar sein. Stefan will das alles aufzeichnen, bewahren, konservieren – irgendwie. Vielleicht das Ganze mit einer Videocam dokumentieren?

 

Eher zufällig sieht Stefan im Vorabendprogramm einen Bericht über den YouTube-Kanal ZQNCE und erfährt so etwas über die Videoserie »Shore, Stein, Papier«. Er ist wie elektrisiert, hofft, dass ihm die Betreiber des Kanals Tipps und Anregungen für eine eigene Videoserie geben können. Stefan schreibt an die Redaktion. Die Antwort kommt schnell: ZQNCE ist an seiner Geschichte interessiert und laden ihn zu Probeaufnahmen ein. Nachdem das O.K. von der Geschäftsleitung kommt, ist die Idee der Biographie-Serie »Komm, lieber Tod« geboren.

 

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Radio Depressione: Darüber sprechen ist wichtig ...

Es ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Daher ist es wichtig, auch über Themen - insbesondere Tabuthemen - zu sprechen. Diese Aufgabe nimmt sich Moderator Thomas Rettig von Radio Depressione zu Herzen, eine 2-stündige Live-Sendung der Harz-Börde-Welle.

 

Jeden zweiten und vierten Dienstag im Monat nimmt sich Thomas von 18.00 - 20.00 Uhr Zeit, um mit seinen Gästen über Themen aus dem psychologischen Bereich zu sprechen. 
Thomas ist selbst Betroffener und weiß daher nicht nur emphatisch mit den Themen umzugehen, sondern er leistet mit seiner Sendung auch einen wichtigen Beitrag zur Entstigmatisierung, denn in seiner Sendung kommen auch Betroffene zu Wort. Am Dienstag dem 14.02. war ich zusammen mit Stefan Gatzemeier zu Gast in seiner Sendung. 

Radio Depressione bei Facebook  -  Fotos mit freundlicher Genehmigung von Radio Depressione und Julia Mastaliers 

Thomas Rettig (li.), Stefan Gatzemeier (m.) und ich.

Thomas Rettig - Radiomann mit voller Leidenschaft 

Auch bei ernsten Themen darf gelacht werden ... 


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Theaterpremiere »Drei Monate und ein Tag« der Lichtbühne München

"DREI MONATE UND EIN TAG: Wundervolle, emotionale, einzigartige Momente liegen hinter uns - und vier fantastische Aufführungen in der Pasinger Fabrik.


Vielen Dank an das tolle Publikum und vielen Dank für das durchweg positive Zuschauerfeedback" (Guido Verstegen, Regisseur des Bühnenstücks auf Facebook).

Am 21.09.2016 hatte das Theaterstück »Drei Monate und ein Tag« Premiere in der Pasinger Fabrik. Unter der Leitung von Guido Verstegen nimmt die Theaterfassung der Lichtbühne die auf den Roman SUICIDE basierende Geschichte auf und spannt den Bogen bis ins Heute.

Die Schauspieler Ralph Schicha, Claudia Riedel und Daniel Pfaffinger setzen die Liebesgeschichte dank ihres Talents auf sehr emotionale Weise um und schaffen es dadurch, auch den Tabuthemen Depression und Suizid einen Raum zu geben.

 

 


Stimmen

Eine großartige, psychologisch tief erfasste und erklärende Darstellung eines Themas, das jeden von uns direkt oder indirekt betrifft und berührt.

zum

Ich bedanke mich dem Ensemble der "Pasinger Fabrik, Kleine Bühne" für einen bemerkenswerten Einblick in das Leben eines an Depression Erkrankten. Offen, leidenschaftlich und authentisch wurde die Vergangenheit bis in die Gegenwart überzeugend dargestellt.
Eine dringende Empfehlung aller Betroffenen, Angehörigen und Interessenten, die sich für diese Materie interessieren. Jede Minute der Darstellung war die Anreise aus Frankfurt/Main wert

Stück

 

Es war absolut großartig gespielt und inszeniert. Unglaublich bewegend. Ich hoffe, ihr bekommt noch ganz oft die Gelegenheit, das Stück aufzuführen, es sollten wirklich viele Menschen sehen!

 


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Die Premiere rückt näher ...

Am 21.09. erblickt das Theaterstück "Drei Monate und ein Tag" das Licht der Welt. Guido Verstegen adaptiert meinen Roman SUICIDE für die Bühne. Ich freue mich auf die Premiere und danke seinem Ensemble für das Engagement, denn es geht mehr als um ein Buch - es geht um Sensibilisierung für die Themen Depression und Suizid.

Weitere Information findet Ihr auf der Seite der Lichtbühne München.

Weitere Termine sind Freitag, 22.09.16, Samstag, 23.09.16 und Sonntag 24.09.16 - jeweils 20.00 Uhr - Ort der Veranstaltung: Pasinger-Fabrik in München-Pasing.



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Drei Monate und ein Tag - Uraufführung am 21.09. in München ...

Am 21.09.2016 feiert das Bühnenstück "Drei Monate und ein Tag" Premiere in München. Unter der Leitung von Guido Verstegen entsteht eine Adaption meines Romans SUICIDE für das Theater.

 

Eine Produktion der Lichtbühne --- www.lichtbuehne.de

 

Reservierungen: 089 - 829 290 79 oder unter

www.muenchenticket.de

Veranstaltungsort

 

PASINGER FABRIK
August-Exter-Straße 1, 81245 München


URAUFFÜHRUNG Mittwoch, 21. September 2016, 20:00 Uhr

 

Weitere Vorstellungen: Do./Fr./Sa., 22./23./24. September,

jeweils 20:00 Uhr


Karten: 16 Euro / 11 Euro (ermäßigt)

 


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Seriale 2016 - einen Preis haben wir nicht gewonnen, aber ...

viele nette Menschen getroffen und interessante Gespräche geführt. Wir sind mit unserem Beitrag "Komm, lieber Tod" zum Web-Festival nach Hamburg und Berlin eingeladen, und auf der Seriale 2017 in Gießen sind wir wieder dabei. Wir freuen uns jetzt schon ...

Impressionen


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Komm, lieber Tod - nominiert für das Indie-Serien-Festival in Giessen

Die Seriale 2016 - 2. Indie-Serien-Festival Gießen

Nach dem erfolgreichen Start im letztem Jahr, geht Deutschlands erstes Festival für unabhängige Serien in die zweite Runde!

Am 3. und 4 Juni 2016 findet die zweite Ausgabe von "Die Seriale - 2. Indie-Serien-Festival Gießen" statt. Bei diesem Festival speziell für Independent-Serien werden an zwei Tagen Serien unterschiedlichster Genres auf der großen Leinwand im Kino gezeigt, begleitet von einem anspruchsvollen Rahmenprogramm - während sich in Gießen die Independent-Serienbranche trifft.

 

Die Beste Serie gewinnt den mit 2.000 € dotierten Preis der Fachjury. Der Preis wird erneut von der Internetplattform Netfall gesponsert, die sich auf Independent-Filme und Serien spezialisiert hat. Großen Wert legt das Festival auf den Innovationsgehalt und Ideenreichtum der Serien. Unter allen Einreichungen wurden 20 Serien nominiert, darunter auch "Komm, lieber Tod" des Internet-Fernsehsenders ZQNCE. Hier die Liste der Nominierungen:

"Die Seriale 2016 - Nominierungen"

 

Ins Leben gerufen wurde Die Seriale vor einem Jahr durch die beiden Filme- und Serienmacher Dennis Albrecht („Filmstadt“) und Csongor Dobrotka („Number of Silence“). Das Programm läuft im Kinocenter Gießen, das als Veranstaltungspartner beim Festival mitwirkt.

Ich bin gespannt ...

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Über 200.000 Videoklicks ...

Die neue Biographie-Serie "Komm, lieber Tod" ist am 3.3. gestartet. Jeweils Donnerstag stellt die Redaktion von ZQNCE neue Episoden ein. Bereits nach 4 Wochen verzeichnet die Serie über 200.000 Video-Aufrufe, Tendenz stark steigend ...

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"Komm, lieber Tod" auf YouTube

YouTube ist zwar nicht neu, aber für mich war es ein Experiment, meine Geschichte mittels eines anderen Mediums zu erzählen. Mit dem YouTube-Kanal ZQNCE (gesprochen: Sequence) hat sich eine Kooperation ergeben. Nachdem ZQNCE sehr erfolgreich das Format "Shore, Stein, Papier" produziert hat, bei dem ein ehemals Drogensüchtiger aus seinem Leben erzählt und dieses Format mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde, machte mir die Geschichte von "Sick" Mut, meine eigene Geschichte zu erzählen.

Nach Probeaufnahmen mit dem Redakteur Paul Lücke im August 2015, haben wir im Oktober und November mehrere Episoden aufgezeichnet. Diese wurden nachbearbeitet und seit dem 3.3.2016 ist die neue Biographie-Serie "Komm lieber Tod" sehr erfolgreich gestartet. Die überwiegend positiven Reaktionen der Zuschauer geben mir das Gefühl, dass es richtig und wichtig war, Episoden aus meinem Leben auf YouTube zu präsentieren.

Komm lieber Tod wird noch bis Ende Juni laufen. Jeden Donnerstag gibt es neue Folgen. Hier geht es zum YouTube-Kanal von ZQNCE:

ZQNCE

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SUICIDE für den Indie-Autoren-Preis 2015 der Leipziger Buchmesse nominiert

SUICIDE wurde für den Indie-Autoren-Award 2015 nominiert - welch eine Ehre. Der Indie-Autoren-Award wird zum dritten Mal von der Leipziger Buchmesse in Kooperation mit Neobooks vergeben. Unter hunderten von Einsendungen wählte eine hochkarätige Jury 25 Bücher aus, darunter SUICIDE.


Alle nominierten Bücher nehmen zusätzlich am Voting zum Community-Preis teil. Von Montag, dem 02.03.2015 bis Sonntag, dem 08.03.2015, 23:59 Uhr, können die Stimmen abgegeben werden


Vote für SUICIDE und zeige damit Deine Solidarität zu Menschen mit Depression, deren Angehörigen und Freude: http://www.neobooks.com/blog/2015/03/02/communitypreis_indie_autor_preis/


Am 10.03.2015 erfahrt ihr, wer den Award und den Community-Preis gewinnt.

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SUICIDE kommt ins Theater!

Wenn man den Gerüchten trauen darf, wird das Theaterstück SUICIDE im Herbst 2016 an der Lichtbühne in München seine Premiere haben. Weitere Infos folgen.

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Suicide als Theaterstück?

Anfang Januar hatte ich über einen Freund Kontakt zu einem Theaterregisseur in München, der sich für das Thema Suizid interessiert. Nun bin ich gespannt, ob und wie sich der Stoff für eine Adaption und Umsetzung auf den Brettern, die die Welt bedeuten können, eignet. Ich halte Euch auf dem laufenden.

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