Soziale Medien und Suizidprävention? Vortrag beim WPA-Kongress in Berlin

Auf dem Weltkongress der Psychiatrie der WPA (World Psychiatric Association) in Berlin trafen sich über 10.000 Fachleute aus aller Welt, um die neuesten wissenschaftlichen Methoden und Trends zu diskutieren. Es gab Vorlesungen, Fachvorträge und spezielle Veranstaltungen. Ich konnte einen Vortrag und eine Lesung aus meinem Buch SUICIDE beisteuern.

Unser Fachvortrag "Social Media and Suicide Prevention" war einer davon. Knapp 300 Zuhörer und Zuhörerinnen lauschten unserem Beitrag, ein Mix aus einer YouTube-Videovorführung (6 Episoden aus "Komm, lieber Tod") und einer anschließenden Diskussion - im Bild vlnr: Prof. Manfred Wolfersdorfer (chair), Paul Lücke (Produzent) und ich. 

Die Frage, die es zu diskutieren galt, lautete: "Wie viel Entertainment verträgt das Tabu-Thema Suizid?" Angesichts des großen Erfolges der Netfilx-Serie "Tote Mädchen lügen nicht", in der episodenhaft der Selbstmord einer Highschool-Schülerin dargestellt wird, und der Warnungen der Experten vor dem Konsum der Serie, traf unser Vorschlag den Nerv der Zeit. 

Es gibt den sogenannten Nachahmer-Effekt (auch genannt Werther-Effekt), der besagt, dass labile Menschen durch bildhafte oder textliche Darstellung zum Selbstmord angetrieben oder verleitet werden können. Dieses Phänomen ist mehrfach empirisch eindeutig nachgewiesen worden. 
Dem schädlichen Einfluss steht ein positiver Effekt gegenüber, genannt Papageno-Effekt (benannt nach der Figur des Vogelfängers aus Mozarts Oper "Die Zauberflöte"). Kurz zusammengefasst sollen Darstellungen und Berichte von Menschen, die eine suizidale Krise überwunden haben, einen "suizidprotektiven" Charakter haben, sich also positiv auf Leute mit Suizidgedanken auswirken. Solche Berichte können animieren, den letzten Schritt nicht zu wagen und sich Hilfe zu holen.

Was ist aber der richtige Weg für eine mediale Darstellung? Soll man den Richtlinien für die mediale Berichterstattung folgen und alles unter den Tisch kehren, bloß nicht zu viel sagen und wagen? Oder ist eine offensive, ehrliche und authentische Darstellung, wie in unserer YouTube-Serie "Komm lieber Tod", der richtige Weg?

Wir leben in Zeitalter des Internets und der sozialen Netzwerke. Menschen können sich ungehindert austauschen und sie schaffen sich abseits der klassischen Informationsträger wie TV, Presse und Rundfunk, ihre eigenen medialen Realitäten. Der Grat zwischen Werther-Effekt und Papageno-Effekt ist schmal. Es gibt keine eindeutige Lösung für das Problem, über Selbstmord angemessen zu berichten.

 

Wenn ich aber den zahlreichen und überwältigend positiven Rückmeldungen unserer Zuschauer trauen darf (siehe Download auf der Frontpage dieser Seite) und dem Urteil eines Zuschauers unseres Vortrages, dann bin ich überzeugt davon, dass wir mit dem Projekt "Komm lieber Tod" einen wirklichen Beitrag für die Entstigmatisierung des Themas geleistet haben, das sich "auf der Höhe der Zeit befindet."